Ich sitze auf einer Düne in der Wüste etwas südlich von Katars Hauptstadt Doha. Das erste Mal seit Wochen fühle ich mich wieder richtig frei und geniesse den Augenblick. Es ist ein Freiheitsgefühl, das mich an etliche Abende auf dem Juhee erinnert. Dort findet morgen die Weihnachtssitzung statt. Wie gerne wäre ich dabei.

Seit Mitte November bin ich an der stark kritisierten Fussball-Weltmeisterschaft in Katar als freiwilliger Mitarbeiter der FIFA im Einsatz. Nach einer mehrmonatigen Bewerbungs- und Vorbereitungsphase erhielt ich die Möglichkeit, Teil des Turniers zu werden. Die Entscheidung, trotz aller Kritik nach Doha zu reisen, fiel mir wahrlich nicht leicht. Doch schlussendlich überwog meine Neugier und der Wunsch, das Land, die Kultur und das grösste Fussballfest der Welt mit eigenen Augen sehen und einschätzen zu können, was zudem eine Investition in meine berufliche Zukunft im Sport ist.

Die Zeit in Katar ist streng. Während fünf Wochen stehe ich nahezu jeden Tag im Einsatz. Meine Arbeit ist zwar stumpfer als mir zuvor versprochen wurde, doch sie erlaubt mir Einblicke in die Stadionorganisation und gibt mir die Möglichkeit Menschen aus der ganzen Welt kennenzulernen. Gerade davon profitiere ich enorm und erfahre die arabische Kultur – unter anderem bei einem traditionellen Abendessen im Hause eines Katarers. Auch die Kehrseite lerne ich kennen und spreche mit zahlreichen Gastarbeitern, deren Schicksal durch die Weltmeisterschaft bekannt wurde und deren Geschichten mir für immer im Gedächtnis bleiben werden.

Es sind prägende Eindrücke, welche ich in den fünf Wochen erhalte. Gerade die Kritik am Gastgeberland sehe ich nach meiner Zeit vor Ort mit anderen Augen. Klar ist, dass kein aufklärendes Gespräch und auch kein gutanzusehendes Fußballspiel jegliche Vergehen gegen die Menschenrechte rechtfertigen kann. Doch durch die omnipräsente Kritik formte sich zudem ein öffentliches Bild der Einheimischen, ihrer arabischen Kultur und ihres Glaubens, welches ich für mich persönlich in vielen Gesprächen widerlegen konnte. Gerade die Offenheit vieler meiner Gegenüber beeindruckte mich. Diese allein bringt jedoch noch keine Veränderung mit sich.

Es bleiben knapp 15 Stunden, bis die Weihnachtssitzung mit dem Einzugskantus eingeläutet wird. In diesem ruhigen Moment auf der Sanddüne konnte ich nochmals jegliche Erlebnisse der vergangenen Wochen Revue passieren lassen und schliesse das Kapitel Weltmeisterschaft für mich ab. «We have to go», sage ich zu meinen tunesischen Freunden und nach kurzer Erklärung fahren wir zurück in die Stadt. Auf dem Rückweg buche ich meinen Flug um, beende nun mein Abenteuer in Katar zwei Tage früher als geplant und nach einer langen Nacht im Flugzeug erreiche ich das Juhee. «Hier sind wir versammelt…»

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